Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble warnt vor den Folgen eines ungezügelten Finanzkapitalismus in der Nach-Corona-Ära.
Die Pandemie hat uns deutlich gezeigt, dass unser Modell der wirtschaftlichen Globalisierung eine Sackgasse ist. Vieles das vor Corona als unmöglich abgetan wurde, ist Realität geworden. Wenn die Pandemie etwas Positives hat, dann die Einsicht, dass eine grundlegende Veränderung des Welthandelssystems durchführbar ist, mahnt Schäuble in einem Interview mit der „Welt“. Noch befinden wir uns in einer Schockstarre, aber wir müssen diese einmalige Chance ergreifen und nutzen. Der Kapitalismus und die Globalisierung der Finanzströme haben eine kritische Dimension erreicht und wir müssen aufpassen, dass das System sich nicht selbst zerstört.
Die Deregulierung der Märkte hat eine Dynamik entfesselt, welche die globale Wirtschaft und die Grundlagen unserer Gesellschaft bedroht. Allerdings dürfen wir jetzt auch nicht in das andere Extrem verfallen und staatliche Regulierungen zu weit treiben, fordert der CDU-Politiker. Zuviel Freiheit führt in die Selbstzerstörung, zu wenig in eine Diktatur. Schäuble widerspricht der Ansicht entschieden, dass die Entwicklung eines Impfstoffs eine Rückkehr zu Vorkrisenzeiten ermögliche. Es muss der Politik klar sein, dass es ein „weiter so“ nicht geben kann. Deshalb müssen wir die Zeit nutzen und neue Entwürfe für eine andere Wirtschaft erarbeiten, erklärt Schäuble. Der Untergang des Sozialismus hat in vielen Verantwortlichen den Eindruck geweckt, dass die Zeit globaler Katastrophen vorbei sei. Das Gegenteil ist inzwischen der Fall. Wir sehen uns nicht nur mit Corona konfrontiert, sondern auch mit dem Klimawandel, der im Interesse der gesamten Menschheit aufgehalten werden muss. Die Globalisierungsdynamik hat in den letzten beiden Jahrzehnten alle Grenzen überschritten und muss wieder unter Kontrolle gebracht werden, um irreversible Schäden zu verhindern.
Schäuble skizziert gegenüber der „Welt“ konkrete Maßnahmen, die kurzfristig und effektvoll wirken könnten. Die Weltgemeinschaft muss endlich Schluss machen mit Steueroasen, in denen sich das Kapital seiner Verantwortung für die Umwelt und gegenüber der Gesellschaft entziehen kann, erklärt der Bundestagspräsident. Wir haben es bei diesen Phänomenen nicht mehr mit Marktmechanismen zu tun, sondern schlicht mit kriminellen Machenschaften. Schäuble verweist auf den Wirecard-Skandal, der mafiöse Strukturen offenbare.
Das Ziel muss eine solidarische Weltgemeinschaft sein, die einer Ausbeutung von Menschen und Natur ein Ende bereitet. Menschenrechte gelten überall, auch für die Fabrikarbeiter in Bangladesch. Wir dürfen uns nicht länger vor unserer Verantwortung drücken und müssen uns zu einer umfassenden Solidarität bekennen, warnt Schäuble.
Redaktion poppress.de, NeoMatrix
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