Für die neu zu bildende Bundesregierung stellt sich die dringende Aufgabe, eine gemeinsame Lösung hinsichtlich „sicherer Drittstaatenmodelle“ zu finden.
Gerald Knaus, Sozialwissenschaftler und Experte für Migration, drückte gegenüber der „WamS“ (Welt am Sonntag) aus, dass die Mehrheit der EU-Staaten „sicheren Drittstaatenlösungen“ zugetan ist und in diesem Zusammenhang die Verbindungsbedingung abschaffen möchte. Damit dieser Weg gegangen werden kann, sollte Deutschland sich dem nicht widersetzen. Dieses von den meisten EU-Staaten angestrebte Modell sei die letzte Chance, eine geordnete Migrationspolitik zu praktizieren, ohne die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) infrage zu stellen.
Momentan findet das Verfahren, das Asylbewerber durchlaufen, nachdem sie in der EU angekommen sind, innerhalb der Europäischen Union statt. Zwar ist eine Vermittlung in sichere Drittländer prinzipiell möglich, doch ihr stehen hohe Hürden im Weg.
Geltendes Recht schreibt vor, dass Asylbewerber eine „Verbindung“ zu den Ländern haben müssen, in die sie transferiert werden sollen. Diese Verbindung kann zum Beispiel darin bestehen, dass dort Verwandte wohnen. Weil das selten vorkommt, existieren in vielen Fällen kaum infrage kommende Drittländer. Deshalb hat nun die EU-Kommission eine Überarbeitung des Konzepts bis Juni angekündigt.
Der erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, äußerte gegenüber der Welt am Sonntag zu Beginn der Koalitionsverhandlungen, dass die Einführung von Verfahren zur Überstellung von Asylbewerbern in sichere Drittstaaten Teil eines schlüssigen Gesamtkonzepts für die Migrationspolitik ist. Nicht nur für die EU, sondern auch für die Mitgliedstaaten bestünde die Pflicht, die Realisierung dieser Modelle voranzubringen. Dabei komme der EU eine zentralisierte Rolle zu. Die Aufnahme von Gesprächen zwischen der EU und infrage kommenden Drittländern wäre der richtige Weg, um mit diesen Verhandlungen über das Einführen des sicheren Drittländermodells aufzunehmen. Den EU-Staaten sollte es jedoch auch ermöglicht werden, im Rahmen bilateraler Vereinbarungen eigenständig solche Konzepte umzusetzen.
Demgegenüber zeigte sich der SPD-Chefverhandler für Migrationsfragen, Dirk Wiese, skeptisch. Er erneuerte seine Kritik an der Zustimmung der Unionsfraktion an den Plänen der EU. Wiese machte deutlich, dass dieses Konzept der Aufteilung von Asylbewerbern auf externe Länder von den Mitgliedern der SPD-Fraktion unverändert sehr kritisch betrachtet wird. Es wäre wichtig, dass die beiden Leitwerte Ordnung und Humanität der Maßstab aller künftigen Handlungen bleiben. Sobald konkrete Ausarbeitungen zu den neuen Vorschlägen der EU-Kommission zu Drittländern vorlägen, würde man überprüfen, inwieweit diese in ihren Einzelheiten mit den Vorstellungen der SPD übereinstimmen.
Aus einem bisher noch unveröffentlichten Prüfbericht vom Hause der Ministerin Nancy Faeser geht jedoch hervor, dass auch im von der SPD geführten Bundesinnenministerium Experten das Auslagern von Asylverfahren nicht von vornherein für ausgeschlossen halten. Sie seien allerdings nur umsetzbar, wenn sowohl das nationale als auch das EU-Recht wesentlich geändert würde.
Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte bereits im Monat November des Jahres 2023 die Prüfung angeregt. Ein Zwischenbericht wurde während ihrer Durchführung im Sommer 2024 erstellt. Mittlerweile existiert auch ein abschließendes Dokument. Nachdem die FDP aus der Koalition ausgetreten war, sollte es allein dem SPD-geführten BMI zugeordnet werden. Bisher wurde das Erscheinen des Abschlussberichts der Prüfung jedoch hinausgezögert. Der Bericht wird immer noch zurückgehalten. Deshalb bleibt offen, ob die von der „Welt am Sonntag“ Details eines Prüfberichts inhaltlich wirklich die finale Version widerspiegeln. Das Bundesministerium des Inneren erklärte letztens dazu, dass sich der Abschlussbericht in einer „Endredaktion“ befinde.
Die letzte Version des Prüfberichts war zum Teil der Beschäftigung der Experten des Bundesinnenministeriums mit dem britischen „Ruanda-Modell“ vorbehalten. Dieses lehnt sich an ein zwischenzeitlich von Großbritannien geplantes, aber gegenwärtig nicht mehr weiterverfolgtes Modell an, Migranten, die sich irregulär auf der Insel befinden, nach Ruanda zu fliegen. Menschen, die ihr Asylverfahren erfolgreich durchlaufen haben, sollen in diesem ostafrikanischen Land leben.
Im Bericht heißt es, ein „Externalisierungsmodell“ wie dieses, sei bereits in der EU-Asylverfahrensverordnung angelegt, die ab 2026 gelten soll. Demnach ist es grundsätzlich möglich, Asylbewerber in ein sicheres Drittland auszufliegen oder zu verschiffen. Dafür müssen zwar mehrere Voraussetzungen vorliegen, wie die Gewissheit, dass die umgeleiteten Asylbewerber vor ernsthaftem Schaden geschützt sind, aber die bisher im EU-Recht vorgeschriebene Auflage kann entfallen. Dass Asylbewerber zum Drittstaat eine spezielle Verbindung aufweisen müssen, ist nicht notwendig. Im Bericht heißt es, weder durch die Genfer Flüchtlingskonvention noch durch die Europäische Menschenrechtskonvention sei so etwas vorgeschrieben. Deshalb wäre eine Streichung aus dem EU-Recht möglich.
Der erwähnte Prüfbericht weist aber auch auf bestehende Hürden bei der praktischen Umsetzung der Neuerung hin. Für die Aufnahme einer nennenswerten Zahl an Asylbewerbern müssten im Drittstaat Kapazitäten geschaffen werden. Für deren Aufbau seien sehr hohe Ausgaben notwendig. Neben den zu erwartenden Kosten gäbe es möglicherweise ein außenpolitisches Risiko. Deutschland würde sich von den entsprechenden Drittländern abhängig machen.
Redaktion poppress.de, Fennia
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