Vor dem heute abend stattfindenden Koalitionsgipfel von CDU, CSU und SPD aus Anlass der bevorstehenden Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Deutschland, bei dem die Regierungsparteien der großen Koalition ihre gemeinsamen Ziele definieren wollen, hat der SPD-Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans Verbesserungen des deutsch-französischen Wiederaufbauplans gefordert.
Walter-Borjans sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ für die am Montag erscheinenden Ausgaben seiner Tageszeitungen in einem Interview, der gemeinsame deutsch-französische Plan sehe vor, dass die europäischen Mittel für den Wiederaufbau nach dem Ende der Corona-Epidemie verwendet würden. Nach seiner Vorstellung könne man das durchaus ausdehnen, und zwar „um Schwachstellen, die in der Pandemie offensichtlich geworden“ seien, zu beseitigen. Natürlich müsse es Richtlinien geben, wie das Geld verwenden solle. Allerdings nicht solche wie in der Finanzkrise, als die Vorgaben der Troika zum Beispiel in Griechenland einen „sozialen Kahlschlag“ zur Folge gehabt hätten.
Als Folge der Finanzkrise ab dem Jahr 2007 hätten viele europäische Länder ihre staatlichen Infrastrukturen und ihre Gesundheitssysteme „kaputt gespart“. Die Corona-Pandemie lasse die Folgen der damaligen Krise nun offen zu Tage treten. Die Sparpolitik nach der Finanzkrise habe Menschenleben gefordert, erklärte Walter-Borjans weiter. Die Staaten der Europäischen Union bräuchten „Gesundheitssysteme auf einem einheitlich hohen Niveau“, forderte er.
Anders als sein Parteifreund Bundesfinanzminister Olaf Scholz kann Walter-Borjans sich eine Unterstützung der Forderung der EU-Kommission vorstellen, die im deutsch-französischen Wiederaufbauplan eingeplanten finanziellen Mittel in Höhe von bis jetzt 500 Milliarden Euro auf 750 Milliarden Euro zu erhöhen. Er betonte, für die SPD sei es bei der Erstellung des Plans vor allem wichtig gewesen, dass ein erheblicher Teil des Programms aus nicht rückzahlbaren Zuschüssen bestehe. Denn Kredite hätten die in der Krise steckenden Länder rasch überfordert und sie zum „Spielball von Spekulanten“ gemacht. Wenn die EU-Kommission nun, zusätzlich zu den Zuschüssen, auch Kredite vergeben wolle, dann sei das für ihn „absolut in Ordnung“, so der SPD-Politiker.
Walter-Borjans stellte dar, das deutsche „Job-Wunder“ der letzten Jahre habe es auch auf Kosten der europäischer Krisenländer gegeben. Die gute Lage am Arbeitsmarkt in Deutschland sei den hohen Überschüssen im deutschen Export zu verdanken, und diese gingen auch auf Kosten der schlechten Situation an den Arbeitsmärkten der Importländern. Ehrlicherweise müsse man hier feststellen, dass Deutschland als Exportweltmeister nicht nur Waren exportiere, sondern auch die Arbeit importiere, die mit der Herstellung dieser Waren in Verbindung stehe. Diese fehle dann aber in diesen Ländern. Dieses Modell werde in Zukunft „immer weniger funktionieren“, weder politisch noch wirtschaftlich.
Für Walter-Borjans ist der Wiederaufbauplan der Beginn einer neuen Zeitrechnung in der deutschen Europapolitik. Mit dem von Olaf Scholz und seinem französischen Amtskollegen, Finanzminister Bruno Le Maire, ausgearbeiteten deutsch-französischen Plan beginne ein überfälliger Paradigmenwechsel. Wolfgang Schäuble (CDU) habe in seiner Zeit als Bundesfinanzminister eine Ära der deutschen Europapolitik gestaltet, die Deutschland mit seiner gängelnden und bestimmenden Art nicht unbedingt das Vertrauen der Staaten im Süden Europas einbebracht habe. „Das ist vorbei“, unterstrich der SPD-Co-Vorsitzende gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Mit der Zustimmung der CDU und der CSU zum Wiederaufbauplan habe die Union ein wesentliches Hindernis aus dem Weg geräumt. Die Bundesregierung habe begriffen, dass die Europäische Union eine tragfähige finanzielle Basis benötige. Zwischen der Union und den Sozialdemokraten gebe es in der Europapolitik keine Unterschiede mehr. Deutschland sei „nicht mehr der Zuchtmeister Europas“.
Redaktion poppress.de, A-1010413
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