Möglicherweise haben sich weniger Menschen bei ihrer Arbeit in Kaufhäusern und Drogerien mit dem Corona-Virus infiziert, als es zu Beginn der Epidemie erwartet wurde.
BERLIN – Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern haben sich darauf geeinigt, in Gebieten mit starkem Corona-Ausbruch zukünftig mit zielgenaueren, lokalen Beschränkungen zu reagieren. In einem Papier der Gesundheitsministerkonferenz, die am Donnerstag stattfand, heißt es unter anderem, ein „geeignetes Mittel“ könnten hier etwa lokale Ausreisesperren sein. Das Papier liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.
Die Minister raten demnach den Ministerpräsidenten der Länder, im Falle eines Ausbruchs in Zukunft in kleineren örtlichen Einheiten Einschränkungen vorzunehmen. Eine „Abriegelung ganzer Bezirke“ in Großstädten – das Papier nennt hier Hamburg und Berlin als Beispiele – sei unmöglich. Auch einen Automatismus dürfe es bei derartigen Maßnahmen nicht geben. Stattdessen sollten Entscheidungen jeweils flexibel von den lokal zuständigen Behörden getroffen werden.
Die Gesundheitsminister gaben zu, die Umsetzung und die Kontrolle derartiger lokal und zeitlich eng beschränkter Ausreisesperren könne schwierig werden. Eine Beteiligung des Bundesinnenministeriums sowie, wenn notwendig, auch der Innenministerkonferenz, sei hier wichtig, um zu realisierbaren Lösungen zu kommen.
Schon zuvor hatte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) vorgeschlagen, zu zielgenaueren Methoden für sogenannte Corona-Hotspots zu greifen. Für den Donnerstagvormittag waren hierzu Gespräche zwischen dem Bund und den Ländern geplant. Etliche Ministerpräsidenten hatten sich im Vorfeld geweigert, Ausreiseverbote für ganze Landkreise zu verhängen. Im „Morgenmagazin“ des ZDF machte Braun jetzt deutlich, es gehe nun nicht mehr darum, ganze Landkreise einzuschränken. Was stattdessen vereinbart werden solle, werde auf das Prinzip „schneller, kleinräumiger, präziser“ hinauslaufen. Beschränkungen, so der Kanzleramtsminister weiter, solle es nur noch dort geben, wo sie absolut erforderlich seien, wie zum Beispiel in Teilen eines Unternehmens oder in Teilen einer Gemeinde mit einem festgestellten Corona-Ausbruch.
Braun sagte weiter, nach einem Ausbruch gehe es darum, mit der Unterstützung der Länder und der Bundeswehr schnellstmöglich die Menschen am Corona-Hotspot auf eine Infektion zu testen. Hierdurch ließen sich die örtlichen Einschränkungen auf ein paar Tage begrenzen. „Solche Beschränkungen sollen auch ein Stück ihres Schreckens verlieren“, so Braun im ZDF.
Wie Lorenz Caffier (CDU), der stellvertretende Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, im Vorfeld sagte, lehnt sein Land Ausreiseverbote für Bewohner von Regionen mit starken Corona-Ausbrüchen ab. Dies sei „für ein Flächenland unpraktikabel“. Auch müsse man bedenken, dass Ausreiseverbote besonders für die Menschen in Ostdeutschland mit „besonderen Erfahrungen verbunden“ seien. „Wir machen das auf keinen Fall“, betonte der Innenminister in Schwerin gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Zuvor hatten auch verschiedene andere Bundesländer Beschränkungen für ganze Landkreise abgelehnt. Auch Dietmar Bartsch, der Vorsitzende der Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag, erklärte in der RTL/ntv-Sendung „Frühstart“, es sei zwar richtig, in von einem Ausbruch betroffenen Gebäuden oder etwa in Altenheimen gegebenenfalls solche Beschränkungen anzuordnen. Aber die Idee, „ganze Kreise zu nehmen und Menschen mit in Haftung zu nehmen“ und Freiheitsbeschränkungen vorzunehmen, müsse überdacht werden.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte die Empfehlung für zielgenauere Einschränkungen begrüßt. Auch von der nordrhein-westfälischen Landesregierung kamen zustimmende Signale.
Michael Kretschmer (CDU), der Ministerpräsident von Sachsen, hatte allerdings am Mittwoch per Twitter erklärt, für sei keine Situation denkbar, in der „wir einen gesamten Landkreis mit einer Ausreisesperre belegen“. Dies schließe er für den Freistaat nahezu aus. Auch der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) erklärte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ Zweifel an dem Vorschlag der Bundesregierung. Etwas Derartiges könne „man sich im fernen Berlin oder auch München ja gerne ausdenken“, so Pistorius, aber in der Fläche sei eine solche Regelung gar nicht praktikabel.
Zuletzt hatte die Infektion von mehr als 1.000 Mitarbeitern des nordrhein-westfälischen Fleischverarbeitungsunternehmens Tönnies regionale Beschränkungen im öffentlichen Leben in den dortigen Kreisen Gütersloh und Warendorf zur Folge. Hiervon waren zeitweise etwa 640 000 Bürger betroffen. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte diese von der Landesregierung in Düsseldorf angeordneten Einschränkungen jedoch nach einiger Zeit aufgehoben. Wie das Gericht festgestellt hatte, hätte das verantwortliche Gesundheitsministerium nach dem Corona-Ausbruch zwischenzeitlich eine präzisere Regelung verordnen müssen, ein für den ganzen Kreis geltender Lockdown sei nicht mehr verhältnismäßig gewesen.
Als ein Corona-Risikogebiet gilt eine Region oder ein Ort mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen. Auch wenn große Unsicherheit über die tatsächliche Ausbreitung besteht, wird ein Gebiet als Risikogebiet betrachtet. Für die entsprechende Beurteilung solcher Gebiete ist das Robert Koch-Institut (RKI) verantwortlich.
Redaktion poppress.de, A-1010413
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