Marcus Böick, Historiker an der Ruhr Universität Bochum, spricht sich für eine Historisierung der Geschichte der deutschen Einheit aus.
Aus Anlass des 30jährigen Jubiläums der deutschen Einheit, fordert der Bochumer Historiker Marcus Böick einen neuen Blick auf die Jahre seit der Wiedervereinigung. Als Beispiel verweist der Historiker gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ auf die Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt. Die Treuhand moderierte den wirtschaftlichen Strukturwandel und war maßgeblich an der Privatisierung von staatseigenen Betrieben in der DDR beteiligt. Viele dieser Unternehmen wurden letztendlich abgewickelt, wie es damals hieß. Der Umgang mit dem wirtschaftlichen Erbe der DDR zeigt viel über die Mechanismen der Wiedervereinigung und der Entstehung neuer Identitäten in Ost und West.
Statt der Rituale sollte eine unvoreingenommene Erforschung und Bewertung stattfinden, betont der Historiker. Epochen des Umbruchs und des fundamentalen Strukturwandels sind immer auch geprägt von Widersprüchen und Verwerfungen. Die historische Aufarbeitung bietet die Chance, langfristig zu einer realen mentalen und kulturellen Einheit zu finden. Es ist an der Zeit die eingefahrenen Frontlinien zu verifizieren, stellt Böick fest.
Nach Ablauf der 30 Jahre-Sperrfrist für Archivgut hat es in den letzten Jahren eine Welle von historischen Untersuchungen zu Themen der Wiedervereinigung gegeben. Der Stand der Forschung wird sich aufgrund der aktuellen Studien innerhalb der nächsten zehn Jahre deutlich verschieben, prognostiziert der Historiker. Gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ weigert sich Böick allerdings, eine Verbindung des wirtschaftlichen Ausverkaufs der DDR und der aktuellen politischen Entwicklung in den neuen Bundesländern zu ziehen. Ich sehe hier keine direkte Verbindung, auch wenn das Treuhandthema derzeit von der AfD als Aufhänger benutzt wird.
Die aktuellen Forschungsergebnisse machen jedoch deutlich, dass die Menschen in der ehemaligen DDR die Wiedervereinigung deutlich ambivalenter wahrgenommen haben, wie die Menschen in der damaligen Bundesrepublik. Der Einstieg in die Demokratie und in die soziale Marktwirtschaft wurden durch die wirtschaftlichen Verwerfungen erheblich belastet. Wir sehen die Nachwirkungen deutlich in der politischen Landschaft in den neuen Bundesländern. Viele politische und gewerkschaftliche Gruppierungen haben es bis heute nicht geschafft, ihre regionalen Begrenzungen aufzubrechen. Die blühenden Landschaften, die Helmut Kohl versprach, hatten in der Realität der steigenden Arbeitslosenzahlen und des Exodus von Millionen von DDR-Bürgern nach Westen, einen bitteren Nachgeschmack. Nach der friedlichen Revolution durch die Menschen auf den Straßen, befiel die Menschen wieder ein Gefühl der Ohnmacht. Nachdem über Jahrzehnte die SED die Bürger entmündigt hatte, sahen sie sich nun als Opfer der Machteliten aus dem Westen. Der Weg in verschiedene Identitäten ist für das politische Leben in der Bundesrepublik eine schwere Hypothek, die es abzutragen gilt, so der Historiker in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Redaktion poppress.de, NeoMatrix
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